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"Putin respektiert keine Verträge". Ein Gespräch mit dem Nawalny Vertrauten Leonid Wolkow.

Leonid Wolkow mit Regimekritiker Alexei Nawalny

Leonid Wolkow gehört zu den Menschen, die den Gang der Geschichte beeinflussen. Er ist an vorderster Front daran beteiligt, das System Putin zum Einsturz zu bringen und Russland eine bessere Zukunft zu eröffnen.

Wolkow wurde 1980 in Jekatarinburg am Ural geboren. Weil er in der Schule neben Englisch auch Deutsch als Fremdsprache lernte und ein Jahr in Dresden zur Schule ging, als sein Vater dort als Gastprofessor tätig war, spricht er fließend Deutsch.

Er studierte Mathematik und Informatik und stieg nach dem Studium zum Vorstandsmitglied einer IT-Gesellschaft auf. Um gegen die grassierende Korruption vorzugehen, kandidierte er 2009 erfolgreich für die Duma, den Stadtrat von Jekatarinburg, dem er vier Jahre angehörte.

Seit 2010 ist er ein enger Mitarbeiter von Alexei Nawalny, der mit der 2011 gegründeten Stiftung für Korruptionsbekämpfung FBK zum Anführer der Opposition gegen Putin wurde. Bei der Bürgermeisterwahl von Moskau 2013 leitete Wolkow den Wahlkampf von Nawalny, der so erfolgreich war, dass am Ende der vom Kreml unterstützte Amtsinhaber mit 51 Prozent der Stimmen nur knapp eine Stichwahl gegen Nawalny verhindern konnte, der 28 Prozent bekommen hatte.

Durch den Erfolg wurde Nawalny zum Anführer der Opposition und trat bei der Präsidentschaftswahl von 2018 gegen Putin an. Wolkow organisierte wiederum den Wahlkampf. Nach dem Ausschluss Nawalnys von der Wahl durch staatlich gelenkte Gerichtsurteile, kam es landesweit zu Protesten und im Gegenzug zu zahlreichen Verhaftungen. Um einer Verhaftung zu entgehen, floh Wolkow mit seine Familie im Juli 2019 nach Litauen.

Nawalny überlebte im August 2020 nur knapp einen Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok, war aber nach seiner Behandlung in der Charité und der anschließenden Genesung in Deutschland ohne zu zögern wieder nach Russland zurückkehrt, um Putin weiter die Stirn zu bieten. Man hatte ihn umgehend verhaftet und zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt.

Im Juni 2021 wurde FBK vom russischen Staat als extremistische Organisation eingestuft und aufgelöst. Im Juni dieses Jahres wurde sie als internationale Organisation mit Sitz in Litauens Hauptstadt Vilnius neu ins Leben gerufen. Wolkow ist der politische Direktor der Stiftung.

In dem kürzlich erschienen Buch „Putinland" hat Wolkow dargestellt, wie Putin an die Macht gekommen ist, wie er durch Korruption einen Zirkel von Gefolgsleuten an sich gebunden hat und wie er durch Wahlfälschungen die Versuche der Opposition abgewehrt hat, ihn aus dem Amt zu entfernen.

Am vergangenen Dienstag hat Wolkow „Putinland" im Literaturhaus Stuttgart vorgestellt. Dadurch ergab sich die Gelegenheit, vor der Lesung mit ihm zu sprechen. Treffpunkt war die Lobby des Hotels Maritim.

Ich hatte erwartet, dass Wolkow von einem Personenschützer begleitet würde; denn als politischer Direktor des FBK und somit als Sprecher von Nawalny, steht er mit Sicherheit im Visier des Kreml. Als ich ihn darauf ansprach, sagte er, für das Büro in Vilnius habe man gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Schließlich sei man nur 30 Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt, wo Putins Leute freie Hand hätten. Aber für sich persönlich habe er beschlossen, sich weitgehend ohne Bewachung zu bewegen, sonst könne man nicht leben und arbeiten.

Als erstes fragte ich Wolkow, wie es Nawalny geht. Wolkow berichtete, dass sich Nawalny seit dem August in Einzelhaft befinde, in einer Zelle, die nur 2,5 mal 3 Meter groß sei, und nur noch sporadische Besuche von Angehörigen und seinem Anwalt erlaubt seien. Man versuche, ihn psychisch zu zermürben. Aber er sei eine starke Persönlichkeit.

Könne der Westen etwas für ihn tun? Es sei wichtig, dass die unmenschlichen Haftbedingungen immer wieder angeprangert würden, wie das der Europarat kürzlich getan habe. Nawalny dürfe nicht in Vergessenheit geraten. Das sei eine Art Lebensversicherung für ihn.

Darauf kam ich auf Wolkows Buch „Putinland" zu sprechen. Darin nennt er schwindelerregende Summen von Geld, die durch Putin und seine Gefolgsleute veruntreut worden sind und das auf Bankkonten im Ausland gewandert ist, in Firmenbeteiligungen oder Immobilien angelegt ist oder zu prunkvollen Schlossbauten in Russland verwendet worden ist. Woher stammt dieses ganze Geld?

Wolkow wies darauf hin, dass der Geldfluss größtenteils durch den Gas- und Ölexport von Russland gespeist wurde und kam dann auf die Gegenwart zu sprechen. Nach dem Überfall auf die Ukraine habe die EU zwar Sanktionen verhängt, aber zu zaghaft und zu zögerlich. Seit Kriegsbeginn hätten die 27 EU-Staaten der Ukraine Hilfen im Gesamtwert von 27 Milliarden Euro zukommen lassen, in der gleichen Zeit seien aber für Gas- und Ölimporte der EU 100 Milliarden Euro nach Russland geflossen. Das halte weiter die russische Kriegsmaschinerie am Laufen. Die Sanktionen müssten noch viel schärfer ausfallen.

In Buch schreibt Wolkow, dass Putin im Laufe der Zeit „jede Verbindung zur Realität verloren hat". Wie sei es dazu gekommen?

Zum einen sei das eine Folge des Putinschen Herrschaftssystems. Um nicht seinen Unmut auf sich zu ziehen, hätten ihm seine Gefolgsleute immer nur ein geschöntes Bild der Wirklichkeit vermittelt. Während der Corona-Krise habe sich das ins Extreme gesteigert. Weil Putin große Angst hatte, sich anzustecken, habe er sich völlig isoliert und nur noch mit wenigen Vertrauten beraten.

Dadurch sei er auch bei der Vorbereitung des Überfalls auf die Ukraine zu einer krassen Fehleinschätzung der Lage gelangt. Putin habe tatsächlich angenommen, die ukrainische Armee würde kaum Widerstand leisten, die russischen Truppen würden als Befreier begrüßt und er könne das Land in wenigen Tagen in seine Gewalt bringen.

Gespräche und Verhandlungen mit Putin hält Wolkow für sinnlos. Selbst wenn es zu Abmachungen oder einem Abkommen käme, würde das keine Sicherheit bringen. Putin respektiere keine Verträge. Im Budapester Memorandum von 1994 verzichtete die Ukraine auf die Nuklearwaffen, die es von der Sowjetunion „geerbt" hatte und bekam als Gegenleistung von den USA, Großbritannien und auch von Russland die Verpflichtung, die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Ukraine zu gewährleisten. Mit der Annexion der Krim 2014 brach Putin das Abkommen und der Angriffskrieg gegen die Ukraine zeige, dass er das Völkerrecht völlig missachte. Gespräche mit Putin wie neulich das Telefonat von Bundeskanzler Scholz stützten lediglich seine Machtposition. Diese müsse vielmehr unterminiert werden.

Das sehe FBK als ihre Hauptaufgabe. Als Gegengewicht gegen die Propaganda im Staatsfernsehen (unabhängige Fernseher und Zeitungen gäbe es nicht mehr), produziere man YouTube Videos für die russische Bevölkerung über den tatsächlichen Kriegsverlauf und die Zustände in Russland. Auf diese Sendungen würden 15 Millionen Zuschauer zugreifen. Bei einer Gesamtbevölkerung von 145 Millionen sei das ein erheblicher Teil der erwachsenen aktiven Bevölkerung.

FBK betreibe auch ein eigenes Umfrageinstitut. Über das Internet mache man regelmäßig repräsentative telefonische Befragungen in Russland, um die Stimmung der russischen Bevölkerung zu erkunden. Der russische Staat verfüge nicht über die Kontrollmechanismen, um das zu unterbinden. So wisse man, dass zu Beginn des Krieges zunächst eine Mehrheit der russischen Bevölkerung hinter Putin stand. Aber nachdem im Sommer ein Mobilmachung stattfand, in deren Folge neben Berufssoldaten auch Wehrpflichtige an die Front geschickt worden, seien die Zustimmungswerte für Putin steil nach unten gegangen. Auch er könne nicht in die Zukunft schauen und wisse nicht, wie lange sich Putin noch an der Macht halten werde. Unter der Oberfläche wachse eine Proteststimmung, die sich eines Tages wie jetzt im Iran unvermittelt Bahn brechen könne.

Zum Autor:

Der Wissenschaftsjournalist Hans Dieter Sauer lebt seit 2013 in Pähl. Obwohl schon länger im Rentenalter schreibter weiter über Energie- und Umweltfragen sowie politische Themen. Die Berge sind sein zweites Leben. Vor 40 Jahren hat er einen Alleingang auf den Achttausender Cho Oyu unternommen.



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