Landsberg am Lech – Normalerweise steht an dieser Stelle ein mehr oder weniger flockiger Text. Ich versuche dem Irrsinn des Alltags nicht extra noch ein paar doomige Gedanken hinzuzufügen. Wichtig ist, dass man den Mut nicht verliert und auch auf keinen Fall den Humor.
Ich sage nicht, dass das immer einfach ist oder stets gelingt. Und das hier ist jetzt ein besonders schwerer Moment. Viele, die das hier lesen, kannten Edith Raim. Diejenigen, die sie nicht kannten, sollten unbedingt wissen, wer sie war und wofür sie stand. Welche Lücke sie hinterlässt.
Als sie mir Ende letzten Jahres ihre niederschmetternde Diagnose verriet, blickten wir gerade erst auf mehrere äußerst gelungene Abende im Laden zurück. Unter dem Titel "Was Sie schon immer über Landsberg und den Nationalsozialismus wissen wollten" stand sie für Fragen der Besucher zur Verfügung. Und außerdem gab es ja noch die Präsentation des von ihr herausgegebenen Buches "Cash in Barbaria" über die Zeit von Johnny Cash in Landsberg.
Es ist nun schon bald 15 Jahre her, als ich sie erstmals darauf ansprach, dass das Thema Johnny Cash in Landsberg meiner Meinung nach endlich professionell erforscht gehört. Bis dahin gab es niemanden aus der Historikerschaft, der die Informationen, die es dazu gab zusammengetragen, geschweige denn weiter geforscht hätte. So blühten allerhand Hörensagen-G´schichterl, die mit der Wahrheit meist nicht viel zu tun hatten. Ich dachte, wenn sie es nicht macht, wer dann? Aber ich hatte eigentlich eher mit einem "schau mer mal" gerechnet und dem Hinweis auf allerhand Projekte und auf Arbeit, die erst mal erledigt werden musste und dann vielleicht mal... - stattdessen aber kam ein umgehendes "ja, sehr gern, lass uns das angehen". Sie erkannte sofort, dass man so Nachkriegsgeschichte anschaulich vermitteln kann. Und sie war die Richtige, um ein angemessenes Erinnern zu gestalten, ohne Heldenverehrung oder Sensationslüsternheit.
Die Nachricht ihres Todes vor knapp zwei Wochen kam also nicht aus heiterem Himmel. Aber das macht es nicht besser. Diesen Verlust in Worte zu fassen ist eigentlich unmöglich. Ich verliere nicht nur meine erste Verbündete in der Erarbeitung der Geschichte Johnny Cashs und der Amerikaner in Landsberg. Ich verliere eine langjährige Freundin. Landsberg verliert seine mit Abstand profilierteste Historikerin. Auch wenn ihr gerade hier in dieser Stadt nicht selten Ablehnung und Ignoranz begegneten. Bei ihrem Fachgebiet verwundert das zunächst mal nicht. Aber ich glaube, einigen ist nicht bewusst, woher ihre Ressentiments eigentlich stammen. Für eine Kurskorrektur ist es nun zu spät.
Ihr Tod reißt eine Lücke in die gesamte Aufarbeitung der neueren deutschen Geschichte. Davon zeugen auch die Nachrufe des Lehrstuhls Neuere und Neueste Geschichte der Uni Augsburg und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Mit ihr geht eine unbestechliche Historikerin mit einem riesigen Wissensschatz. Es verlässt uns ein aufrechter Mensch voller Empathie und Humor und Mut. Bis zuletzt.
Wir als Laden verlieren natürlich auch eine treue Kundin. Kaum ein Besuch im Laden ohne ein anregendes Gespräch über Bücher, Musik und Projekte, Austausch aktueller Infos, oder ein paar Scherze über dies und das. Wir hoffen ja immer, dass durch das, was wir machen, durch die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, andere hin und wieder etwas lernen. Ganz sicher aber lernen wir von unserer Kundschaft. Ganz besonders traf das auf Edith zu. In Menschen wie ihr findet sich auch ein Grund, warum unsere Arbeit Spaß macht. Wobei ich das gleich wieder relativieren muss. Was heißt da wie? Manchmal wird behauptet, jeder Mensch sei ersetzbar. Das Gegenteil ist der Fall. Niemand ist ersetzbar. Gerade bei Edith Raim wird das sehr schmerzhaft deutlich.
Ihre Arbeit bleibt. Noch bis kurz vor ihrem Tod arbeitete sie an dem digitalen Atlas NS-Verbrechen.
Es bleibt in erster Linie die Erinnerung an den Menschen. Ich jedenfalls kann mir gerade nicht vorstellen, dass noch ein Tag kommen wird, an dem es keinen Anlass geben wird, an sie zu denken.
Edmund Epple, Juli 2025
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