Dießen – Neulich in der Teeküche – also, in meinem Fall: am Kühlschrank zwischen zwei Zoom-Meetings – habe ich mich dabei ertappt, wie ich sagte: „Der Flurfunk hat's schon vorher gewusst." Niemand war da. Ich sagte es mir selbst. Und ich dachte: Moment mal, sagt man das eigentlich noch? Oder wieder?
Flurfunk ist eines dieser Wörter, die plötzlich wieder auftauchen, als hätten sie jahrelang im Altbau-Büro einer Versicherung geschlafen. Es riecht ein bisschen nach Filzgleitern und abgestandener Kaffeekanne, aber es hat Charme. Es steht für all das, was man nicht offiziell kommuniziert – und genau deshalb ist es aktuell. Denn obwohl heute alles irgendwo dokumentiert ist – in Chats, Mails, Tools mit vier Silben und Silbenbetonung auf der zweiten – sehnt man sich nach dem Halbgesagten. Nach dem: „Hast du schon gehört? Aber ich hab's dir nicht gesagt."
Sprache funktioniert eben wie Mode: Man trägt wieder Schlaghosen, weil man plötzlich wieder weiß, wie das geht. Und man sagt Flurfunk, weil das Wort heimlich retro und klug klingt. Es sagt: Ich weiß, wie der Laden läuft – auch zwischen den Zeilen.
Ein anderer Kandidat auf der Liste der sprachlichen Dauerbrenner: die kurze Zündschnur. Das ist kein Begriff, das ist ein Gemütszustand. Und zwar ein kollektiver. Wenn jemand sagt „Ich hab grad echt ne kurze Zündschnur", dann weiß man: Achtung, heute besser nicht mit „Hast du mal kurz…" kommen. Es ist das neue „Ich bin heute nicht ganz ich selbst" – nur mit Pyrotechnik.
Ich frage mich, woher diese Bilder kommen – und warum sie auf einmal alle benutzen. Und ich meine wirklich: alle. Der Kollege im Projekt-Call, der Typ auf Instagram, die Frau an der Supermarktkasse, die „schon wieder das ganze Kleingeld allein zusammenhalten muss". (Auch eine Form von kurzer Zündschnur.)
Vielleicht liegt es daran, dass diese Begriffe funktionieren. Sie sind bildhaft, sie sind präzise, und sie sind ein bisschen wie Emoji-Wörter – man spürt sofort, was gemeint ist. Außerdem sind sie effizient: Kurze Zündschnur ersetzt ganze Erklärungsmonologe über Stress, Schlafmangel, Reizüberflutung und die Heizung, die seit drei Tagen gluckert.
Aber – und hier wird's spannend – solche Wörter bewerten auch. Wer eine kurze Zündschnur hat, ist nicht einfach nur müde. Er ist ein bisschen gefährlich. Knapp vor der Explosion. Wer Flurfunk hört oder verbreitet, ist nicht nur gut informiert – sondern auch ein bisschen klatschsüchtig. Man merkt: Sprache ist nie neutral. Nicht mal, wenn sie charmant daherkommt.
Ich glaube, wir sprechen in Metaphern, weil wir gar nicht anders können. Unsere Welt ist zu komplex, um sie rein sachlich zu fassen. Also bauen wir uns kleine sprachliche Rettungsboote: Bilder, die uns über den Strom der ständigen Überforderung tragen. Flurfunk. Zündschnur. Hamsterrad. Mental Load. Sandwich-Position. All das sind Mini-Dramen in einem Wort. Und gleichzeitig: Mini-Therapiesitzungen. Denn wenn man sagen kann, was los ist – fühlt es sich gleich ein bisschen besser an.
Vielleicht sollten wir uns also nicht über Sprachmoden lustig machen, sondern sie feiern. Als kreative Strategien, sich verständlich zu machen in einer Welt, in der ständig alles gleichzeitig passiert. Und ganz ehrlich: Solange niemand anfängt, wieder „dufte" zu sagen, bin ich mit jeder Mode einverstanden.
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