Folge 50
Das alles musste natürlich in Briefen nachhause niedergeschrieben werden. Als ich dann am Postamt in Beykoz anstand, sprach mich jemand an, der den Absender meines auf dem Rücken gehaltenen Briefes las. Er gab sich als den Funkoffizier eines türkischen Passagierschiffes zu erkennen, das gegenüber lag. Er hatte einen Freund dabei, der sich als einer der Funker des Flughafens Istanbul vorstellte. Wir zogen anschließend in eine Kneipe und feierten dort unsere Bekanntschaft. Als Gastgeschenk brachte ich den beiden am nächsten Tag ein paar Büchsen unseres guten Heinecken-Bieres mit. Es herrschte große Freude. Der Kollege vom Passagierschiff kannte sich mit dem Büchsenbier aus, der vom Flughafen hatte diese bittere Erfahrung noch vor sich.
Wieder unterwegs, hatten wir Funkkontakt, wobei mir der Schiffskollege vom Missgeschick des anderen berichtete, worüber er seine Schadenfreude zum Ausdruck brachte: Der Flughafenkollege glaubte, die Büchse vorher erst schütteln zu müssen. Die Folgen waren katastrophal und ich hätte es gern miterlebt. Der Flughafen scheint vor seiner Lahmlegung gestanden zu haben Seitdem herrschte zwischen den beiden Freunden Funkstille im wahrsten Sinne des Wortes.
Es war die Zeit der Suez-Krise und der Unruhen in Ungarn. Auf der Mittelwelle im Radio konnte man die erschütternden Hilferufe der ungarischen Aufständischen vernehmen, wie sie herzzerreißend die westliche Welt um Beistand baten. So etwas bleibt nachhaltig in Erinnerung!
Die Suez-Krise brachte aber auch im östlichen Mittelmeer starkes militärisches Engagement mit sich. Das gipfelte darin, dass die Engländer und Amerikaner die Franzosen aus Ägypten hinauskomplimentierten, denn man wollte doch den Kuchen unter sich aufteilen.
Eines Tages rief mich der 3. Steuermann auf die Brücke, die unmittelbar vor meiner Funkstation lag. Wir standen zu dem Zeitpunkt unterhalb der türkischen Südküste auf dem Weg nach Iskenderun, als uns ein gewaltiges Kriegsschiff entgegenkam, das ich als shiplover sofort als eines aus der Richelieu-Klasse identifizierte. Es gab aber auch noch ein Schwesterschiff, die "Jean Bart". Nun, welches von beiden war es? Ich sagte zum Steuermann, weißt was, wir machen uns einen Spaß. Ich bat ihn, doch mal die Morselampe zu holen, eine Aldislampe mit ungeheurer gebündelter Leuchtkraft, die keinerlei Missverständnisse offen lässt. Zu dem Zeitpunkt aber wussten wir nicht, dass der Kollege drüben gar nicht zu Späßen aufgelegt war, denn wir kannten die Hintergründe nicht.
Nachdem sich ein Steuermann mit dem Morsen etwas schwerer tut als ich, nahm ich die Lampe und blinkte unseren Gegenüber mit den Worten an: „Pse what ship?". Das Größen- und Machtverhältnis in Betracht ziehend, setzte ich ein normalerweise unübliches "please" voraus, denn es ist meistens das Kriegsschiff, das eine solch dumme Frage meistens einem Handelsschiff stellt. Hier war es andersherum...
In Anbetracht seiner Erfahrungen mit den lieben Waffenbrüdern kann ich mir im Nachhinein vorstellen, dass dem Admiral drüben wohl der Hut hochgegangen ist. Kommt da doch so eine mickrige, kleine Ölschlampe daher, wenn auch unter der Flagge der Shell, und erdreistet sich, mich, ein Kriegsschiff der Grande Nation, zu fragen: "What ship".
Ich soll mich dem da zu erkennen geben und mich ausweisen?! Ja, spinnt der total? Normalerweise steht eine solche Frage, wie gesagt, einem Kriegsschiff zu, das einen Kauffahrer wegen eventueller Kontrabande kontrollieren will.
Vielleicht spielte der Admiral in dem Moment gar mit dem Gedanken, uns eine seiner 38cm Wurfgeschosse herüber zu schicken, da kräht anschließend sowieso kein Hahn mehr danach. Und er tat in seiner Situation das einzig Richtige: Er strafte uns mit Missachtung.
Das traf mein Ehrgefühl in Mark und Seele. Das konnte ich doch nicht auf mir sitzen lassen, auch wenn wir nur 8000 und er 48.950 Tonnen groß waren. Er rauschte indigniert auf 200 Meter Entfernung an uns vorbei Richtung Horizont. Wir sahen erst dann, dass er vollgepackt war mit Ausrüstung und Soldaten, also war er wohl keineswegs zu Scherzen aufgelegt. Was macht man denn nun aus so einem Schwarzen Peter??
Und so wahrte ich meine Contenance und meine sprichwörtliche Höflichkeit und blinkte ihm hinterher: "MS Marisa from Marseille to Iskenderun" Nach dem Motto: Friss oder stirb. Is' eh schon wurscht!
Er tat unerwartet ersteres und blinkte mir ganz verstohlen, blitzschnell und kaum wahrnehmbar, zurück: "JB". Er dachte wohl, damit kann er eh nichts anfangen. Als Schiffskenner (so etwas gibt es bei Flugzeugen und Eisenbahnen, plane spotters und train spotters genannt, vielleicht heißt meine Spezies ship spotters, ich weiß es nicht) wusste ich sofort, das war die "Jean Bart". Sicherlich hatte drüben ein Signalgast Mitleid mit uns, stehend in irgendeinem verborgenen Winkel auf der Brücke oder dahinter. Sicherlich hatte auch der Admiral sich wieder eingekriegt, denn es gibt schließlich Wichtigeres als sich über dahergelaufene Ölschlampen aufzuregen. Vielleicht war ihm auch bewusst dass er ohne uns seine Maschinen stilllegen musste, also waren wir doch auch von Nutzen für ihn.
Ich bedankte mich artig für sein "JB" und bestätigte ihm im Volltext, was ihm sicherlich auch wieder peinlich gewesen mag, da er sich erkannt wusste: "Jean Bart, tks (thanks) bv (bon voyage)". Und bevor er unter dem Horizont verschwand, kam von drüben ein kurzer Blitz als Bestätigung für meine freundlichen Wünsche: OK. Hatte ich damit doch ein Vorzeigeschiff der französischen Marine in arge Bedrängnis gebracht und von einem ebensolchen Admiral eine jähe Entscheidung verlangt. Aber zum Schluss war jeder zufrieden, wir jedenfalls.
Sicherlich stehe ich jetzt nicht nur in den spanischen und libyschen, sondern auch in den französischen Geheimdienstakten. "Wer war das?! (Ach, der Hofmann! Seufz. Der schon wieder)".
So, auch dieses Abenteuer wäre wieder zu aller Zufriedenheit bestanden. Oder vielleicht auch nicht?!
Fortsetzung folgt
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