Folge 55
Mein Schiff Nr. 11, die "Leopoldskerk" gehörte zwar nicht mir, sondern der Verenigde Nederlandse Scheepvaart Maatschappij VNS, wie Schiff Nr. 2, die „Jagersfontein". Es war sicherlich mal interessant, ein im Krieg gebautes, in Massen gefertigtes Schiff zu fahren, aber es hatte natürlich auch die entsprechenden Nachteile. Viel Komfort war darauf nicht zu erwarten. Insgesamt wurden von diesem Liberty-Typ 2710 Schiffe gebaut, mehr und schneller, als die deutschen U-Boote versenken konnten. Sie waren eigentlich nur für eine Reise gedacht und sollten nach dieser ersten Fahrt in Murmansk zu nützlichem Stahl zerlegt werden. Die Verluste waren jedoch so hoch, dass sie die Rückreise für eine erneute Fahrt antreten mussten und so überlebten viele dieser schwimmenden Stahlkästen mit einer Maschine drin den Krieg. Sie fuhren danach noch viele, viele Jahre, bis weit in die 60er Jahre hinein. Dann aber fing überall das geballte Massensterben dieser Schiffe an. Am meisten freuten sich die taiwanesischen Abwrackfirmen darüber. Diese Liberties, wie sie genannt wurden, halfen den Alliierten die während des Krieges auftretenden gewaltigen Transportprobleme zu bewältigen. Wenn man bedenkt, dass zum Betrieb kaum ausgebildetes Personal zur Verfügung stand, sondern die Bauernsöhne aus dem mittleren Westen direkt von ihren Kornfeldern rekrutiert wurden, dann war dies eine gewaltige Leistung. Navigation und Funk wurden in Crashkursen vermittelt, denn die Handelsflotte der Vereinigten Staaten war vor dem Krieg ziemlich unbedeutend. Umso erstaunlicher war es, dass der Serienbau dieser Schiffe so gewaltig anlief. Das war nur möglich, indem die verschiedenen Teile der Schiffe in den unterschiedlichsten Landesteilen gefertigt wurden und erst auf der Helling wie ein Baukasten zusammengefügt wurden. Wurden die ersten Schiffe noch genietet, fand sehr bald schon die Schweißtechnik generelle Anwendung. Da man aber damit noch keine Erfahrung besaß, rissen in der Fahrpraxis die Schweißnähte der Bordwände und der Decks, insbesondere in den eisigen arktischen Gewässern. Dauerte anfangs der Bau eines Liberty bis zu 40 Tage, so konnte aufgrund der wachsenden Erfahrung schon bald innerhalb von 4 bis 5 Tagen je ein Schiff die Werft verlassen. Die Liberties waren mehr oder weniger nur schwimmende Transporthüllen mit einer Triple-Expansionsdampfmaschine, deren Entwurf unverändert noch aus dem vorigen (19.) Jahrhundert stammte. Dementsprechend niedrig war ihre Leistung von nicht mehr als 2500 PS, die dem Schiff eine maximale Geschwindigkeit von bestenfalls elf Knoten, gerade mal 20 km/h, verliehen. Immerhin griff man beim Brennstoff nicht auf Kohlen, sondern auf das reichlich in den VS vorhandene Rohöl zurück.
So ein Schiff nun war „meine" Leopoldskerk, die in den Kriegsjahren „Hemony" hieß und 7252 brt groß war. Sie hatte das internationale Rufzeichen PFOL und war seit ihrer Jugend schon mit Radar ausgerüstet, mit welcher Anlage ich in meinem Element war, insbesondere, weil sie mehr kaputt als ganz war. Da konnte ich mich dann auch so richtig austoben. Ein einziges Vorkommnis war und blieb dann auch der einzige Lacher während der ganzen Reise. Der ging ausgerechnet wieder mal auf mein Konto und drang deswegen nicht nach außen. Insgesamt war die „Leopoldskerk" eher ein Frustschiff als ein Lustschiff. Das lag in der Hauptsache am Kapitän Leenders, dem das Wörtchen „Humor" ein Fremdwort war. Er war ein ganz widerlicher Bursche und sich seiner Macht und seiner körperlichen Kraft wohl bewusst. Breit war er und um seine Höhe stand es auch nicht zum Besten. Bei jeder Gelegenheit suchte er den Boxkampf mit seinen zumeist schwächeren Besatzungsmitgliedern, denn wer von denen war schon Profi-Boxer? „Habt keine Angst vor Insubordination. Ihr könnt mich auch verdreschen (was natürlich keinem gelang). Wem's nicht passt, heute nachmittag um 3 Uhr auf Luke 3 und dann seh'n wir mal, wer der Stärkere ist". Und er wusste, dass er immer der Gewinner war. Schade, dass er nie seinen Meister fand, aber dann hätte er es auch bestimmt nicht provoziert. Sein Leben lang boxte er sich so durch sein jämmerliches Leben. Das Einzige, was uns Stolz verlieh, war, dass andere Schiffe vor uns ihre Flagge dippen mussten, da unser Kapitän die Marineflagge führte. Warum das? Nun, Leenders war niederländischer Marine-Reserveoffizier und war deswegen befugt, diese Flagge zu führen. Und er achtete aufs Schärfste darauf, dass der vorbeifahrende Kollege auch als erster grüßte. Es ist bei der (Handels-) Marine üblich, dass Landsleute auf hoher See, wo auch immer, einander grüßen. Wer dabei als erster die Flagge dippt, ist unerheblich. Dagegen wird ein Marineschiff immer als erstes gegrüßt. Und wehe, wenn nicht, dann war eine geharnischte Beschwerde ans Kriegsministerium fällig. Es gab manche Transusen, die nicht mal wahrnahmen, dass da ein Landsmann daherkam. Erst wenn der andere grüßte, dann dippte die „Leopoldskerk" gnädiglich und mit würdiger Verzögerung ihre (Marine-)Flagge. Ihm war das alles schon zu Kopf gestiegen. Mit anderen Worten: Er war sehr unbeliebt bei uns, vor allem bei seinen Offizieren, aber auch bei seinen Kollegen der übrigen Handelsflotte. - So weit zum „Alten", der auch später noch so manchen Bock schießen sollte, den Unbeteiligte ausbaden mussten.
Und so fand ich mich zwei Tage nach der „Ganymedes" auf einem richtigen Schiff wieder, der „Leopoldskerk". Man hatte gerade genug Zeit, die Kleidung zu wechseln und zu waschen. Das Kursziel lag im Persischen Golf und in Erwartung der Wiedereröffnung des Suezkanals war unser erster Anlaufhafen Genua. Die aber ließ auf sich warten, sonst hätten wir diesen Umweg nicht gemacht, denn Genua liegt bekanntlich schon ein ganzes Stück weit im Mittelmeer. Da wurde also eine ganze Menge Treibstoff umsonst verheizt.
Uns konnte es nur recht sein, denn so erkundeten wir wieder einmal die schöne Stadt Genua. Ich hatte mich mit einem Funker-Kollegen der Küstenstation Genua Radio verabredet, der mich herzlich empfing. Immer schön zu wissen, mit wem man es in seiner Umgebung zu tun hat, wie seinerzeit in Dakar. Oben auf dem Berg leistete ich mir in einem Restaurant eine Portion Spaghetti, die ich mit dem Mut der Verzweiflung anging. Ich war der einzige Gast. Die Speisekarte verstand ich eh nicht und ich wollte nicht das Risiko eingehen, unter der Position 13 eine Portion Zahnstocher zu erstehen. Die Ober standen hinter den Säulen und belugten mich argwöhnisch. Sobald sie enttäuscht verschwunden waren, machte ich mir den weiteren Verlauf der Nahrungsaufnahme etwas einfacher. Gut, dass vorher irgend jemand das Messer erfunden hat. Mittlerweile beherrsche ich die Kunst, die gar keine ist.
Selbstverständlich stand in Begleitung mehrerer Kollegen auch eine Straßenbahnfahrt nach Irgendwo auf dem Programm. Es geschah dabei, dass einer von denen eine hochwertige Aussage über die Beine einer jungen Dame bei uns auf der hinteren Plattform traf. Es erfolgte eine Parallele zu dem Ereignis in Tasmanien (siehe „Gadila"), nur diesmal mit anderen Vorzeichen: Er (glücklicherweise der Richtige!) bekam eine Saftige geschmiert. Ich sag's ja immer wieder: Man muss so vorsichtig sein. Irgendwo auf der Welt findet sich immer ein Holländer oder eine Holländerin in nächster Nähe. Und die eine ist empfänglich für ein Kompliment, die andere reagiert allergisch darauf. Und Italien liegt immer noch sehr nahe an Holland.
Das war jetzt ein dazwischen geschobener Lacher, der mir gerade einfiel, denn ich versprach vorher nur einen einzigen, einen mit Kapitän. Der war es nicht, dieser Lacher war sozusagen eine Zugabe.
Fortsetzung folgt
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