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"Ernesto, der Seebär – Vom Tretauto zum Schlachtschiff" Fortsetzungsroman eines bewegten Lebens. Folge 52

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Folge 52

Zum Hergang der Kollision der beiden Schiffe „Oranje" und „Willem Ruys" habe ich vor langerZeit einen Bericht erstellt, den ich Ihnen nicht vorenthalten will:

„Seit Bestehen beider Reedereien, die sich mit der Passagierschifffahrt nach Ostasien, den niederländischen Kolonien, befassten, herrschte trotz der Rivalität beider Handelsstädte Amsterdam und Rotterdam zwischen den dort ansässigen Reedereien „Nederland" und „Rotterdamsche Lloyd" eine freundschaftliche Zusammenarbeit, auch wenn man sich in den Größen der Schiffe und dem darauf gebotenen Luxus zu überbieten versuchte. Die Nederland wurde 1870, der Rotterdamsche Lloyd 1883 gegründet. Beide Reedereien verfügten somit über ausreichende Erfahrung miteinander sowie was die zu befahrene Route betrifft.

Es hatte sich seit vielen Jahrzehnten eingebürgert, dass sich das heimwärts fahrende Schiff mit dem Schiff in Richtung Java auf halber Strecke im Roten Meer treffen sollte. Viele Beamte und Pflanzer kannten sich aus den Kolonien und über den Schiffsfunk wusste man anhand der vorher gegenseitig übermittelten Passagierlisten, ob es an Bord des anderen Schiffes Bekannte gab. Man verabredete sich dann an allerhand ausgefallenen Stellen des jeweiligen Schiffes, um sich im Vorbeifahren zuzuwinken.

So sollte es auch wieder im April 1953 sein. Beide Schiffe standen diesmal seitlich weit voneinander ab und deshalb änderte die „Oranje" ihren Kurs und steuerte auf die „Willem Ruys" zu und zwar in einem ziemlich stumpfen Winkel. Die „Willem Ruys" war deshalb der irrigen Meinung, die „Oranje", von Norden kommend, wolle entgegen der Seestraßenverkehrsordnung widerrechtlich den Kurs der „Willem Ruys" kreuzen und, statt wie üblich, Backbord an Backbord (links an links) nun Steuerbord an Steuerbord (rechts an rechts) passieren, was so noch nie vorgekommen ist.

Um nun einer – wie es ihm vorkam – drohenden Kollision beider bereits sehr nahestehenden Schiffe zuvorzukommen, gab der Kommodore der „Willem Ruys" (ein Kommodore ist der ranghöchste Kapitän einer Reederei) das verhängnisvolle Kommando „Hart Backbord" just in dem Moment, als die „Oranje" sich anschickte, ihren Kurs zu ändern um, wie üblich, Backbord an Backbord an der „Willem Ruys" vorbeizufahren. Eine Kurskorrektur war nicht mehr möglich, es waren schließlich auf beiden Seiten je 20.000 Tonnen Stahl unterwegs.

Die „Oranje" bohrte sich ungebremst und einem gewaltigen Schlag in die Steuerbord- (rechte) Seite der „Willem Ruys". In der späteren Seegerichtsverhandlung berief sich der Kommodore der „Oranje" auf die bisherige Praxis und stellte die Frage, weshalb nun zum ersten Mal seit 70 Jahren das Gegenschiff den Kurs änderte. Der Kurswechsel der „Willem Ruys" war infolge der Nähe beider Schiffe als reine Panikhandlung zu sehen. Beide Kommodore wurden sofort ihrer Posten enthoben und in untergeordneten Positionen innerhalb der Reedereien weiterbeschäftigt.

Die beiden Flaggschiffe der Nederland und des Königlich Rotterdamschen Lloyd waren nun unzertrennlich ineinander verkeilt und man befürchtete, dass die „Willem Ruys" sinken würde, sollte man die beiden Schiffe trennen. (Dies geschah einige Jahre später tatsächlich im Fall „Stockholm" gegen „Andrea Doria", welche undurchdachte Handlung letztendlich zum Untergang der „Andrea Doria" führte). Man dichtete deshalb die Schadensstelle auf der „Willem Ruys" so gut wie möglich ab und erst nach mehreren Tagen konnte man die beiden Schiffe voneinander trennen, die dann ihre Wege, schwer angeschlagen, fortsetzten. Es war ein Wunder, dass es „nur" 3 oder 4 Tote (in der Wäscherei) gab, was damit erklärt werden kann, dass alle Passagiere an Deck und an der „falschen" Seite standen. Glück im Unglück!

Die „Oranje" hatte ihren gesamten Bug bis kurz vor der Brücke eingebüßt. Das Schiff hatte noch die Hälfte der Hinfahrt, die Liegezeit in Batavia und die Heimreise vor sich, also gute fünf Wochen. In dieser Zeit holte die Werft die alten Pläne aus 1937 aus der Schublade und innerhalb von 5 Wochen, rechtzeitig zur Ankunft, baute man ein neues Vorschiff. In Batavia wurde das havarierte Vorschiff mit Zement ausgegossen. Zurück in Amsterdam wurde das zerstörte Vorschiff abgetrennt und im Dock das Neue eingeschwommen. Die Reparatur dauerte – eine international anerkannte Glanzleistung der Werft – nicht länger als eine Woche!

Im Sprachgebrauch der internationalen Handelsmarine bürgerte sich alsbald ein neuer fachmännischer Begriff ein: das „Willemruysen". In drohenden, ähnlich gelagerten Fällen (wie gerade vorher bei unserer „Marisa" mit dem Amerikaner beschrieben), in denen man durch das damalige fatale Manöver glaubte, einem vermeintlichen Überläufer ausweichen zu müssen, reichte in Erinnerung an den Vorfall der beiden holländischen Schiffe das Kommando des Lotsen oder des Kapitäns: „Don´t willemruys!" Ich konnte eingedenk des Unfalls der beiden Schiffe auf der „Marisa" zufällig das Schlimmste verhindern, obwohl ich dazu in allerkeinster Weise (was für ein schreckliches Wort!) befugt war.

Der Vorfall hat im übrigen dem Image der niederländischen Handelsmarine sehr geschadet, wie ich persönlich (später selbst auf der „Oranje") feststellen konnte. Es bedarf immer wieder einer anderen Katastrophe, um dieses Image in den Nebel der Vergangenheit zu verbannen. Diese Gelegenheit bot sich anlässlich des Zusammenstoßes der „Stockholm" mit der „Andrea Doria", beide Vertreterinnen großer seefahrender Nationen.

Ernst R. Hofmann, Funkoffizier ms „Oranje" " - Soweit mein damaliger Bericht.

Fortsetzung folgt


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