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"Die Wolken zieh'n im Juni" Bemerkungen zu Bob Dylan und Roger Waters von Edmund Epple

Edmund Epple fotografiert von Peter Wilson Edmund Epple fotografiert von Peter Wilson

Landsberg am Lech – Heute erscheinen zwei Alben von zwei alten Herren, die es zu einem beachtlichen Bekanntheitsgrad gebracht haben, obwohl sie "nur" Musiker sind. Der eine, Bob Dylan, wurde vor einer Woche 82. Der andere, Roger Waters, wird im September 80. Von Ü80 spricht man heutzutage ja meist nur noch in Zusammenhang mit "Pflege", sprich als Problem. Ich vermute mal, dass der Kontostand der beiden Herren zumindest eine gute finanzielle Unterfütterung ihres persönlichen zu vermutenden Pflegebedarfs darstellt. 

Beide arbeiten ja noch und tragen daher mit ihren Einkünften zu Steueraufkommen und anderen gesellschaftlichen Transferleistungen bei. Ein Problem für die Gesellschaft können diese beiden also nur in anderer Hinsicht sein, z.b. indem sie den Mund aufmachen um sich zu irgendwas zu äußern, was ihnen in einer freien Gesellschaft tatsächlich zusteht. Den einen, Dylan, sieht man sowieso als politischen Künstler, als Bürgerrechtler. Vor ziemlich genau 60 Jahren trat er beim "March On Washington" auf. Das war der Tag als Martin Luther King seine berühmte I have a dream Rede hielt. Seitdem wird Dylan immer wieder von allen Seiten bedrängt, Kommentare zum gesellschaftlichen und politischen Tagesgeschäft abzugeben. Und immer wieder tut er genau das nicht. 

Nun ist kaum anzunehmen, dass His Bobness keine Meinungen hat oder sich nicht über das Weltgeschehen informiert. Er schreibt weiter Texte, die auch politische Interpretationen zulassen. Aber man liest von ihm keine Bekenner-Tweets, keine reduzierten Botschaften. Stattdessen gibt es Songs wie "I Contain Multitudes", in welchem es darum geht, dass man morgens ein anderer ist als am Abend desselben Tages. 80 Jahre sind bald 30.000 Morgen und Abende. Zeit um viele Personen zu sein. Man erlebt viel und macht garantiert auch viele Fehler, ein paar Sachen vielleicht aber auch richtig. Dylan hat wohl als einer der ersten Superstars begriffen, welch Projektionsfläche er geworden ist und wie man Aufsehen erregen kann, indem man seine Bekanntheit einsetzt. Trotzdem oder gerade deswegen hat er sich dazu entschieden durch Songs zu sprechen. Diese Songs erkunden stets das Menschliche, das Sprituelle, zuweilen das Mythische, und auch das Politische. Sie reduzieren aber nicht, sie öffnen den Blick. Dylan hält sich aus der Tagespolitik raus und ist vielleicht gerade dadurch der politischste aller in den Sechzigern gestarteten Künstler, in einem sehr politischen Jahrzehnt also. Er bleibt ein Widerspruch, ein komplexes Wesen, he contains multitudes.

Bei Roger Waters wünscht man sich, er würde sich wie Dylan mehr auf seine Musik konzentrieren und man hofft, dass er auch mal wieder ein paar geniale Einfälle hat wie zwischen 1968 und 1978. Stattdessen macht auch Waters das Gegenteil. Zelebriert seine Vergangenheit als Mr. Pink Floyd und geht einem in seiner Aufgeregtheit und Larmoyanz auf den Zeiger. 

Muss man aushalten, wie ich schon bemerkt habe und mag sogar sein, dass auch er hinter seinen zugespitzten Kommentaren mehr "Multitudes" verbirgt als auf den ersten Blick zutage treten. Je mehr er von sich gibt, desto schwerer fällt es allerdings das zu glauben. Twitter soll ja ohnehin das soziale Netzwerk für Arschlöcher sei. Und wer vor Twitter noch kein Arschloch war, Twitter sorgt dafür, dass man eins werden kann, fördert entsprechende Potenziale. 

Schlußendlich passiert in den sogenannten sozialen Netzwerken nichts anderes als das, was wie BILD Zeitung seit 70 Jahren macht: Aufreger schaffen durch zugespitzte und provokative Headlines. Heute kann halt jeder drauflos brabbeln und bei Menschen mit hohem Bekanntheitsgrad ist die Größe der Echokammer enorm. Was ich Roger Waters alles entgegnen würde, will ich hier im Einzelnen nicht erörtern. Sicher ist: man muss nicht alles fressen, was die Vereinfacher servieren.

Ich empfehle daher nochmals das Buch von Meron Mendel "Über Israel reden". Mit so einem Buch kann die Diskussion beginnen. Klar: dauert etwas länger zu lesen als ein Tweet. Aber viele von uns haben ja 80 Jahre oder länger Zeit. Zeit, die man für mehr nutzen kann als nur die Überschriften zu lesen... Beide, Dylan und Waters haben heute gemeinsam, dass sie sich in ihren neuen Alben alten Songs widmen.

In Shadow Kingdom - "Early Songs Of Bob Dylan" hört man Tombstone Blues, When I Paint My Masterpiece, It's All Over Now Baby Blue oder Forever Young in komplett neuen Versionen. So wie er es immer schon auf seinen Konzerten macht und damit regelmäßig weltweit Lokaljournalisten, die über seine Auftritte berichten müssen, in die Verzweiflung treibt: "Die Songs sind kaum wiederzuerkennen, Dylan ist ein Schatten seiner selbst". Dieser Schatten hat eben sein eigenes Königreich. Bob Dylan: douze points

Die Songs von The Lockdown Sessions von Roger Waters sind dagegen näher an den Originalen, dabei auch nicht unbedingt schlechter. Kann man so machen. Roger Waters: eight points  

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