Dießen – Sigi Renz, im August 86 Jahre alt geworden, war einer der erfolgreichsten deutschen Radrennfahrer und 30 Jahre Sportlicher Leiter des legendären Münchner Sechstagerennens. Mittlerweile lebt er im Bayerischen Wald. Der Dießener Sport-Journalist Thomas Ernstberger, jahrelang Münchner Sixdays-Reporter, hat Renz in seiner neuen Heimat besucht.
Renz, ein gebürtiger Münchner, war von 1960 bis 1976 Profi, in den 60er Jahren zweimal Europameister sowie mehrmals Deutscher Meister auf der Straße und auf der Bahn. Er fuhr 1961 die Tour de France und feierte dann seine größten Erfolge auf dem 200-Meter-Holzoval: Er gewann 23 Sechstagerennen, auch das erste im Olympia-Jahr 1972 in der Münchner Olympiahalle an der Seite von Wolfgang Schulze. Er war dann von 1980 bis 2009 sportlicher Leiter der legendären Münchner „Sixdays", der inoffiziellen Weltmeisterschaft der Sechstage-Asse. Mittlerweile ist der „Sixdays-König" ein Bayerwaldler, lebt seit Jahren mit Ehefrau Roswitha und Jack-Russel-Terrier Yerri, „einem lieben, echten Treibauf", in Bettmannsäge, einem 150-Einwohner-Stadtteil von Regen – „im Jagdrevier von Franz Josef Strauß". Und in einem Haus, in dem der ehemalige bayerische Ministerpräsident (†1988) beim Vorbesitzer, einem Oldtimer-Sammler, ein- und ausging. „Die Nachbarn können sich noch gut an die Besuche von Strauß erinnern", erzählt Renz.
Bayerwald-Idylle statt Großstadt mit Fahrradgeschäft im Olympiapark im mittlerweile zugunsten des SAP-Gardens abgerissenen, alten Olympia-Radstadion - wie kam's? „Meine Oma kam aus Falkenstein im Bayerischen Wald und ich war als Kind oft hier. Vor rund zehn Jahren haben wir dann mal Urlaub in Bodenmais, das ich als Etappenziel der Bayern-Rundfahrt kannte, gemacht. Danach habe ich beschlossen, mir hier was zu kaufen. Ich bin ein Natur- und Waldmensch – schöner als hier geht's nicht."
Als Strauß Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender war, feierte der Rad-Profi seine ersten Erfolge. Olympia 1960 in Rom verpasste er mit dem deutschen Vierer im Ausscheidungsrennen West gegen Ost gegen die DDR. „Wir haben erst 20 Jahre später erfahren, dass wir da von den DDR-Zeitnehmern beschissen wurden", blickt er zurück. 1963 wurde Renz Deutscher Straßenmeister, er belegte die WM-Ränge 7 und 9 – damals noch alles ohne Helm. Aber auf der Bahn fühlte er sich immer am wohlsten. Wenn er so richtig in die Pedale trat, war die Konkurrenz gleich ganz weit weg. „Es war ein Wahnsinn. Ich durfte da mit und gegen Fahrer antreten, die ich in der Zeitung bewundert und denen ich in der Münchner Messehalle, wo die ersten Rennen nach dem Krieg stattfanden, noch die Daumen gedrückt hatte." Die ersten Jahre: Da mussten die Fahrer bis weit über die Leistungsgrenze gehen. „Der Start war am Abend um sieben Uhr, Ende morgens um Fünf. Am Anfang waren nur drei Stunden Schlaf erlaubt. Wenn du dann geweckt wurdest, wärst du dem Betreuer am liebsten an die Gurgel gegangen", verrät der mehrfache deutsche Meister.
Er bekam es in 158 Sechstagerennen mit der Creme de la Creme zu tun. Wie mit Radsport-„Gott" Eddy Merchx (79), fünffacher Tour-Sieger und erfolgreichster Fahrer der Geschichte (gewann 1977 in München), der ein guter Freund wurde: „Ich habe öfters bei ihm in Belgien übernachtet, viele Rennen mit ihm bestritten" – und gewonnen. Er fuhr mit dem legendären Rudi Altig (†2016), Weltmeister auf der Straße und auf der Bahn, und dem belgischen Olympiasieger und Weltmeister Patrick Sercu (†2019), mit 88 Sixdays-Siegen der beste aller Zeiten auf der Bahn. Immer an seiner Seite war sein Jugendfreund Egon Ebenbeck, ebenfalls ein erfolgreicher Radsportler. Der zog im Juli 2020 sogar zu ihm nach Bettmannsäge, verstarb dort aber nur zehn Tage später mit 81 Jahren.
Seine exzellenten Kontakte in die Radsport-Szene und sein guter Ruf halfen ihm dann beim Umstieg auf die „andere Seite". Als sportlicher Leiter in München holte er die Allerbesten die Olympiahalle – Sercu und Merchx fuhren in München, auch Didi Thurau, Silvio Martinello, Erik Zabel, Bjarne Riis, Robert Bartko, Olaf Ludwig, Australien-Legende Danny Clark, der „singende Radstar" oder Paradiesvogel Mario Cipollini. Und wer waren die Besten der Besten? Da muss der Neu-Bayerwaldler nicht lange nachdenken. Drei Schweizer sind es, die er da „adelt": Die sechsfachen München-Sieger Bruno Risi (56) und Kurt Betschart (56) und der zehnfache Weltmeister Urs Freuler (65/vier Siege). Sie sorgten für ein Radsportspektakel, das täglich die Halle füllte. Risi („ein großer Sportler und Mensch") hätte sich Renz gerne als seinen Nachfolger gewünscht, doch dazu kam es nicht mehr. 2010 wurde das Ende der Münchner Traditionsveranstaltung verkündet - zu teuer, nicht mehr zeitgemäß. Sehr zum Leidwesen von Renz, den Sechsfach-Weltmeister Risi als den „tollsten und menschlichsten Leiter der Szene" bezeichnet: „Es war eine wunderschöne Zeit. Schade, dass sie so sang- und klanglos zu Ende gegangen ist."
Sein Rennrad hat Renz, der eigentlich Autorennfahrer werden wollte und einst „als Ersatz" aufs Rad umstieg, mittlerweile eingemottet – auf zwei Rädern ist er aber noch immer „im Wald" unterwegs: „Mit dem Hund und dem Elektroradl meiner Frau. In der schönsten Gegend, die ich mir vorstellen kann…"
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